Lebe wild und gefährlich? Das war einmal

Früher war alles aufregender. Jedenfalls in der Werbung.

DAS R-WORT

Wo sind all die Cowboys hin? Wo sind sie geblieben? Diese falsch-echten Kerle, die ohne Frau, Eigenheim und Geburtsvorbereitungskurs durchs Leben reiten durften. Die frei von den Fesseln der Zivilisation ihr Lasso schwangen, aber nie ohne eine knallweiße Filterfluppe im Mundwinkel. Glutrotes Sonnenuntergangslicht schien ins leicht lederne Gesicht, und der Blick war auf unendlich gestellt. Richtung Freiheit.

Irgendwann waren sie weg, verschwunden hinter Verboten, Warnungen, Höllenvisionen der Neuzeit, nicht nur das Rauchen betreffend. Mit ihnen verschollen scheinen all die anderen libertinären Jünger des Tabaks, die Großstadt-Indianer, die einer Frau Feuer gaben, ohne dass sie darum bitten musste; die ihr vorm Club galant den Wagenschlag aufhielten und dabei derart l-ä-s-s-i-g eine Selbstgedrehte zwischen den Fingern halten konnten, dass es egal war, ob man “zu mir oder zu dir” fuhr. Hauptsache, man fuhr. Liberté toujours versprach die Gauloises davor. Und auch, dass es eine Gitanes danach geben würde.

Ja, es ist besser, nicht zu rauchen. Rauchen macht Krebs, macht Falten, macht Herzinfarkt. Also tot. Aber vorher? Ist es das Accessoire der Lebendigkeit. War es zumindest. Das ist eine unverantwortliche Feststellung? Natürlich. So irre unvernünftig, ungesund und verqualmt wie alle Staffeln von “Mad Men” zusammen. Aber wahr. Schön war die Zeit, als man auf eine Zigarettenlänge bleiben durfte, ohne dabei an bösartige Geschwüre in allen möglichen Körperteilen zu denken. Erst hat die Welt den Genuss am Rauch ein Jahrhundert lang gefeiert, dann wurde er ihr ausgetrieben. Man hat sich gebeugt, hat dem Tabak abgeschworen, nicht nur der Kinder wegen. Hätte heute eh alles keinen Leichtsinn mehr: Zigaretten haben jetzt – Sicherheitsringe. Sie gehen von selbst aus, wenn man nicht häufig genug daran zieht. Wir können beruhigt schlafen. Unsere Betten brennen nicht mehr.

FLASCHE LEER

Ich trinke Jägermeister, weil ich endlich die wüste Gabi hinter mich gebracht habe. Jetzt komm’ ich mit auf den Underberg und hebe darauf einen Dujardin, zusammen mit Metaxa, dem klassischen Griechen. Der muss immer dabei sein, genau wie mein bester Freund: Der Tag geht, Johnnie Walker kommt. Gorbatschow, des Wodkas reine Seele, lässt sich auch nicht lange bitten. Komm rüber! Hab Spaß! Tanz in die Morgensonne!

What I’m feeling
It’s never been so easy
When I’m dreaming
Summer dreaming when you’re with me.

Typisch Bacardi. Immer ein Lied auf den Lippen, immer halb nackt am Strand, immer schick. Frag nur nicht nach dem nächsten Tag. Ramazzotti, ich mag dich, aber um den Kater zu bekämpfen, hast du zu viel Volt. Bist ja nicht aus echtem Felsquellwasser. Dann lieber ein Jever, beim Leuchtturm am Strand. Keine Staus. Keine Hektik. Keine Cocktailpartys. Keine Handys. Keine Meetings. Keine Kompromisse. Kein anderes Bier. Wie er das nur schafft, den Küstennebel immer wieder einzufangen? Und dann geht’s los! Sail away, dream your dreams! Beck’s hat gut grölen, bei den Umsätzen weltweit. Was – und der kommt auch mit? Campari? Was sonst?! Bitterer Typ, voll Achtziger. Macht ihr mal eure Work-Life-Balance, ich mach’ Feierabend, sagt Holsten neuerdings zu so Leuten. Da ruf’ ich lieber Baileys an, der hat noch Zeit für Gefühle. Man gönnt sich ja sonst nichts. Heute ein König! Nur Küsse schmecken besser, sagt Eckes. Und dass es bei ihr immer so schön prickelt in die Bauchnabel. Aber bringt der Frau bloß schnell einen Sekt zum Schlagzeug, sonst schreit sie wieder rum: Wo ist der Deinhard?! Aber recht hat sie, lieber trocken trinken, als trocken feiern. Denn, wie sagt der Traunsteiner? Hopfen und Malz erleichtern die Balz. Manchmal muss es eben Mumm sein. Und wenn einem so viel Gutes widerfährt, das ist schon einen Asbach Uralt wert. Was, kein Alkohol ist auch keine Lösung? Nicht immer, aber immer öfter. Veierabend!*

(*Wer den Text nicht versteht, ist zwar beneidenswert jung, hat aber Jahrzehnte enthemmter deutschsprachiger Alkoholwerbung verpasst.)

SEX SOLD

Früher war mehr Lametta, Sex sells, und eine andere, gefühlt 25 Jahre alte Weisheit besagt: Um uns herum wird heute so viel nackte Haut gezeigt und so häufig die Verfügbarkeit von jedermann zu jeder Zeit suggeriert, dass im echten Leben niemand mehr richtig Lust aufeinander hat.

Aber diese These ist nicht zu halten. Früher sprangen reihenweise barbusige Frauen durch die Reklame des Vorabendprogramms, nur um eine angebliche Limonenfrische von Seife zu preisen – und trotzdem wurden in den Siebzigern mehr Kinder gezeugt. Auch wurde hemmungslos Creme auf naturbelassene Brüste gekleckst, mit dem einleuchtenden Hinweis: “Macht doppelt schön”. Um weiches Klopapier an Mann und Frau zu bringen, wurden Weiberhintern konkret ins Bild gesetzt. Sogar nackte Männer lagen zu Hause auf dem Couchtisch, jedenfalls in Form von Zeitschriftenannoncen: Auf den Motiven für den Herrenduft “Care” sah man 1987 einen schönen solchen, Penis inklusive. Der blieb bei Schiesser 1978 zwar verpackt, jedoch so, dass seine Größe besser rauskam: “Mini-Slip, Maxi-Form”.

Die Werbung heute sei dagegen wieder prüde, sagte die Markenstrategin Karen Heumann einmal im ZDF. Busen mit Brustwarzen zeige man nicht mehr – und das in Zeiten von Youporn und Co. In der Reklame dagegen: alles nicht nur sauber, sondern rein. Die viele nackte Haut überall kann davon nicht ablenken. Denn die wird so lange mit Photoshop gestrafft und getönt, bis ihre Trägerinnen sich selbst nicht mehr wiederkennen.

SCHWÄBISCH FAHREN

1970 versprachen sie: Ihr Alltag wird aufregender. 2012 befehlen sie: Bleib auf Abstand.

Was macht mehr Lust einzusteigen? Wählt man Slogan zwei, hat die Autobranche von heute alles richtig gemacht. Die Frage ist nur, ob man selbst noch lebendig ist. Keine Aufregung mehr? Fahren nur noch mit Parkleitassistenten, Tempomat, Gebimmel und Gefiepe, wenn man nicht angeschnallt ist, Vollautomatik, ABS, ESP, Traktionskontrolle, Airbags vorne, hinten und an der Seite, Wegfahrsperre, Abblendautomatik, infrarotgesteuerte Abstandskontrolle? CO2-arm sowieso, besser noch Hybrid, am allerbesten Strom. Das ist Autofahren 2012. Sehr sicher, ziemlich umweltbewusst, nichts für Träumer, nichts für Machos. Gut so. Oder? Aber, ach, auch so bieder, lustlos, unehrlich.

Wie war das noch mal? “Braun werden Sie auch in anderen Cabrios. Nur nicht so schnell.” Herrlich. Von Porsche 1993. Man zeigte dazu ein gelbes Modell – von hinten. Audi versprach uns 1985: “Wir haben den Wind zum Flüstern gebracht.” Heute hält uns der Wagen auf Abstand zu allen anderen, mit imaginären schwarzen Männchen in der Print-Kampagne. Kriegt man fast Angst. Da weht kein Lüftchen mehr. BMW lässt per Knopfdruck entscheiden, ob wir (heimlich, hedonistisch) im Sport-Modus kacheln wollen – oder im Eco-Pro-Modus Geld sparen möchten. Sparen im BMW! Einst ein Euphemismus. Freude am Fahren wird übersetzt mit Genügsamkeit und grünem Gewissen. Und nur verdruckst noch mit Spaß. In den Neunzigern dagegen? Zeigte Mercedes-Benz nur seinen Stern und schrieb: “Unser meistgebrauchtes Ersatzteil.” Jetzt lockt die E-Klasse damit, “die sparsamste Oberklasse-Limousine der Welt” zu sein. Das ist schwäbisch. Aber nicht sexy.

Wenn Spots doch lustig sind, geht es um Kinder, die sich Eiscreme ins Gesicht matschen oder im Darth-Vader-Kostüm vor Papis blinkendem Passat erschrecken. Niedlich, ungefährlich, abenteuerfrei für Papi. Vielleicht ist es so, vielleicht haben Autofahrer eine höhere Entwicklungsstufe erreicht, sind vernünftig geworden und nicht mehr verführbar. Es muss uns bloß entgangen sein.

Erscheinungsdatum
01.12.2012
Verlag
Brand Eins


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Der Tod kommt später,
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