Auf Weltreise

Als Vizekanzler und FDP-Chef ist Philipp Rösler gescheitert. Darum hat er jetzt die Chance, zu tun, was zu ihm passt

„Freiheit, Freiheit,
ist die einzige, die fehlt.“

Mit Marius Müller-Westernhagens Hymne „Freiheit“ beginnt Philipp Röslers Abgesang auf sein erstes Leben als Politiker. Er hat ihn selbst angestimmt. Vier Tage vor der Bundestagswahl 2013 hat Rösler, damals 40 und schon Vizekanzler, FDP-Vorsitzender und Bundesminister für Wirtschaft, eine kostenlos abrufbare Liste mit 28 Liedern für den Wahlkampf beim Musikportal Spotify ins Internet gestellt.

Eine Stunde und 58 Minuten Pop. Viel Deutsches ist dabei, viel Stehaufmännchen-Lyrik, von Thomas D. zum Beispiel, dem Sänger der Fantastischen Vier, der „Rückenwind“ rappt, aber auch gemäßigt Raues von Linkin Park oder Pompöses von Coldplay: „Viva La Vida“, es lebe das Leben.

„Beschwingt in den Endspurt“ texteten sie dazu in der Pressestelle der Partei und müssen verzweifelt gewesen sein. Bei der Bayernwahl waren die Liberalen drei Tage zuvor aus dem Landtag geflogen. Ausgerechnet im Reich jenes Ministerpräsidenten Horst Seehofer (CSU) war das geschehen, der Rösler Jahre zuvor so hatte abtropfen lassen, als der noch Bundesgesundheitsminister war und seine geplante Reform überall nur Kopfpauschale hieß. Sie sollte nie kommen.

Man stellt sich vor, wie Rösler in jenen letzten Tagen als Stellvertreter von Kanzlerin Angela Merkel seine Musikdateien durchsucht haben mag, um den richtigen Sound zur Lage zu finden. Und bei Nena hängen bleibt, „Wunder gescheh’n“, auch ein Lied auf dieser Liste, die nur 29 Anhänger findet.

Wie man weiß, geschahen die Wunder nicht, jedenfalls nicht in Philipp Röslers Leben als Politiker. Am 22. September 2013 wird die Freie Demokratische Partei aus dem Bundestag gewählt, das erste Mal seit ihrer Gründung 1948. Mit 14,6 Prozent der Wählerstimmen, dem besten Ergebnis ihrer Geschichte, war sie 2009 unter Guido Westerwelle in die vorige Legislaturperiode gestartet und dann durch die Regierungszeit mit CDU und CSU getaumelt, um auf 4,8 Prozent zu stürzen. Dieser erste Platz in der Geschichte Deutschlands ist Rösler sicher. Aber seine Niederlage überschattet nichts von dem, was ihm danach widerfuhr. Es geht ihm blendend heute. Er ist sogar wieder zu Scherzen aufgelegt.

An Röslers Handgelenk sitzt auffällig ein Armband aus kleinen weichen Plastikschlingen, wie sie zurzeit Kinder aus der wohlhabenden Welt gern flechten. Sein Band hat ihm eine seiner sechsjährigen Zwillingstöchter gemacht. Es verrät nicht nur über ihn, dass er gern Vater ist und das endlich sein kann, weil er nun Zeit für die Kinder findet. Das Band verrät auch, in welcher Liga Rösler jetzt spielt: Der Papst, erzählt er freimütig, der Papst habe das Armband neulich gesegnet! „Natürlich war ich vorher so schlau zu fragen, ob ihm das was ausmachen würde.“ Rösler grinst sein Großer-Junge-Grinsen, von dem man schon dachte, es sei ihm in den Berliner Jahren abhandengekommen.
Bereits im Februar, fünf Monate nach seiner Abwahl, konnte Rösler als Vorstand beim Weltwirtschaftsforum in Genf anfangen. Das ist das Elite-Netzwerk des Wirtschaftsprofessors Klaus Schwab, 76, das der 1971 begonnen hat, weltweit zu spannen. Berühmt sind die Treffen der Stiftung jeden Januar im schweizerischen Davos.

Sieben Monate später sitzt Rösler auf der Terrasse des Hilton Bomonti in Istanbul und sagt, Berlin, ach, das sei lange her. Ein Jahr und sieben Tage nur sind in diesem Moment vergangen, seit das Wahlergebnis bekannt wurde. „Ja, aber es ist seitdem viel passiert“, sagt er. Rösler ist um die ganze Welt gereist, mehrfach. Sein Fokus hat sich verschoben. Er sagt Sachen wie: die Ukraine, klar, alles schlimm, keine Frage. Aber neulich, auf den Philippinen, hätten ihm Experten erklärt, was es bedeute, wenn Japan und China miteinander im Clinch lägen. „Darüber redet bei uns keiner, aber das betrifft uns alle.“ Zwei der größten Wirtschaftsmächte! Rösler hat nun das große Ganze im Blick.
41 Jahre alt ist er, seine Züge wirken noch immer jugendlich, die Statur fast zierlich. Das Hilton in Istanbul hat fünf Sterne und, so findet Rösler, das modernste Fitnessstudio, das er bisher in einem Hotel sah. Er hat gestern nach der Anreise noch ein bisschen trainiert, gegen 23 Uhr.

Das Konferenzzentrum des Hotels, das sich über vier Etagen an einen Hügel schmiegt, ist groß wie ein Dorf und pompös wie die Zentrale einer saudischen Öl-Holding. Dienstbares Personal in Armeestärke ist lauernd auf dem Sprung, dem Gast noch halb volle Tassen und Gläser zu entreißen.

In diesen drei Tagen waren 500 Vorstände und Spitzenpolitiker aus Europa, dem Nahen Osten und Nordafrika Röslers Einladung gefolgt. Sie redeten in Istanbul über „unerschlossene Ressourcen“ ihrer Länder, über Bildung, Infrastruktur, Frauen und Energie. Das führte angesichts der vielen Brandherde in der Region auf jedem Podium dazu, dass es – im offiziellen Teil – vor allem um Krieg und Frieden ging und um die Frage, was eigentlich gutes Regieren sei.

Abends dann sagt er endlich „ich“ statt „man“

José Manuel Barroso, der scheidende EU-Präsident, sprach länglich und der neue türkische Premierminister Ahmet Davuto?lu noch länger. Als Stargast aber fungierte, sozusagen, der türkische Präsident Recep Tayyip Erdo?an. Er pries die stabile Demokratie und das unglaubliche Wirtschaftswachstum seines Landes. Fast zeitgleich landete der neue Bericht von Human Rights Watch in den E-Mail-Fächern der Journalisten: „Autoritäre Tendenzen gefährden die Menschenrechte“ in der Türkei.

Rösler ist dennoch zufrieden mit dem Verlauf, „es gab keine Pannen“. Er konnte das Treffen, für das er die Verantwortung trug, vor einer Stunde mit ein paar höflichen Worten beenden. Und jetzt, auf der Terrasse, mogelt sich im auffrischenden Wind der Dämmerung ein besinnlicher Moment in dieses hermetische Business-Universum. Vorm Horizont zeichnen sich im Abendrot die Minarette der Moscheen ringsum ab wie Scherenschnitte. Und Rösler hört endlich auf, von „man“ zu reden, wenn er sich meint, oder über sich wie über eine dritte Person zu sprechen („Als Bundeswirtschaftsminister treffen Sie vor allem andere Wirtschaftsminister.“) Er sagt jetzt: „Ich fühle mich sehr wohl.“ Und: „Ich würde mal frech für mich in Anspruch nehmen, dass ich für meine jetzige Lebensphase und für das, was ich bisher gemacht habe und was gut zu mir passt, genau da bin, wo ich hingehöre.“ Ja: „Ich bin angekommen. Das ist das Schöne.“

In dem knappen Dreivierteljahr, seit er aus Deutschland weg ist und mit seiner Familie in Genf lebt, war Rösler schon in China, Südostasien, Afrika, Nahost, der arabischen Welt, Südamerika, den USA. Es gab auch Reiseziele, die geheim bleiben müssen. Einige Treffen sind offenbar so heikel, dass ihr Ruchbarwerden die Sicherheit seiner Gesprächspartner gefährden könnte. Manchmal, sagt Rösler, würden die guten Beziehungen des Weltwirtschaftsforums helfen, Menschen vor Repressalien in Diktaturen oder Krisengebieten zu bewahren.

Es klingt, als sei er so etwas wie ein Diplomat oder Geheimagent im Gewand des Handlungsreisenden. „Nein, nein“, sagt er abwiegelnd, „wir sind keine Regierung und kein Außenministerium. Aber wir nutzen unsere Beziehungen.“
Es geht um Wissenstransfer, vor allem aber um Geschäfte. Doch das sagt Rösler nicht, er sagt: „Hier werden kaum Geschäfte gemacht, wir sind keine Messe.“ Seine Kollegen hatten zuvor das Gegenteil erzählt. Sind das noch seine Reflexe aus der Politik?

Klaus Schwab, der Gründer des Weltwirtschaftsforums, hatte Rösler nur drei Tage nach der Bundestagswahl angerufen. In welcher Stimmung der Professor ihn erreicht hatte und was sein Angebot in ihm auslöste, gibt Rösler nicht preis. „Ich dachte, wir reden über meine Aufgaben jetzt?“, fragt er dann, gespielt verdutzt. Er versucht nach all der Häme, die sich in Deutschland über seine Partei und ihn ergossen hatte, wieder die Deutungshoheit über sich zurückzuerlangen. Nicht zu viel mit Journalisten zu reden, hat er festgestellt, helfe dabei ungemein. Auf die Frage, ob ihn Schwab nicht vor allem deshalb rekrutiert habe, weil er zuvor Vizekanzler und Bundesminister gewesen sei, antwortet Rösler arg schnell: „Nö, wieso? Woher wollen Sie das wissen?“ Er wirkt gereizt. Das war ihm früher wesensfremd.

Als junger Landespolitiker in Niedersachsen riss er Witze im Dutzend, machte sich über seine vietnamesische Herkunft lustig („Bei Asiaten denken immer alle, man kann Karate“) und schämte sich nicht, seine Familie vorn- statt wie andere Politiker hintanzustellen.

Rösler wurde 1973 von Deutschen aus einem katholischen Waisenhaus in Vietnam adoptiert. Als sich die Eltern trennten, wuchs er bei seinem Vater auf, einem Bundeswehrpiloten. Schon als Jugendlicher trat er in die FDP ein. Sie lag Anfang der Neunzigerjahre schon mal im Staub. Sie stand schon damals für das Versprechen, Steuern senken zu wollen, dies aber nicht durchsetzen zu können, und hatte den Ruf, jede x-beliebige Koalition einzugehen, nur um an der Macht zu bleiben.

Das wollte Röslers Generation ändern. Nach der Jahrtausendwende machten Youngster wie der heutige Parteichef Christian Lindner, der Ex-Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr und Rösler die inhaltlich eindimensionale FDP zu ihrem Projekt. Rösler, der wie sein Vater Berufssoldat geworden war und an der Medizinischen Hochschule Hannover Medizin studierte, fiel in Niedersachsen bald auf. Er war höflich, dabei begeisternd und wissbegierig. Ohne darüber zu reden, versorgte der angehende Arzt ehrenamtlich Obdachlose in einem Mobil der Caritas. Eine soziale Ader zu haben, dafür stand die FDP bis dahin nicht.

Neues Leben, neue Rolle

In Istanbul ist die erste Verabredung mit Rösler um 7.30 Uhr angesetzt. Er muss nachher den ganzen Tag über Gespräche mit Ministern führen, die nicht durchweg aus lupenreinen Demokratien kommen. Vorab hat sein Pressestab 15 Minuten Zeit für ein Interview eingeräumt. Hala Hanna, Röslers neue Assistentin, eine reizende, polyglotte Libanesin mit zwei Harvard-Abschlüssen, stolziert während des Gesprächs diskret vorbei, um lächelnd zu signalisieren, dass sie ab jetzt zur Stelle ist. Rösler hat augenblicklich zu seiner Höflichkeit zurückgefunden und versichert: „Wir finden später noch Zeit zu reden.“

Doch jetzt muss er los, seine neue Rolle ausfüllen. Vor der Plenary Hall des Konferenzzentrums zwei Etagen tiefer wartet eine Moderatorin von CNBC auf ihn, dem US-amerikanischen Wirtschaftssender. Sie interviewt ihn und stellt Rösler als „former Vice Chancellor“ vor und moderiert ihn als „former Vice Chancellor“ ab. Vermutlich versteht ihr Publikum nur deshalb, warum es sich von einem Deutschen mit asiatischem Antlitz die Agenda einer elitären Konferenz referieren lassen muss. Anders als früher vermeidet Rösler jede Schlagfertigkeit.

Er bewegt sich in seinen neuen Sphären fast verhalten, wie ein strebsamer Vorstandsassistent. Seine Grußbotschaften trägt er zwar noch in demselben zu entschiedenen Tonfall vor, mit dem er früher die Kopfpauschale verteidigt hatte oder die verwirrende Haltung der FDP in der Energiewende oder die Sache mit den arbeitslos gewordenen Frauen der pleitegegangenen Drogeriekette Schlecker. Wie früher hakt er sich an jedem Halbsatz fest, nur eben jetzt auf Englisch: „Distinguished guests!“

Die Beflissenheit täuscht über die Möglichkeiten hinweg, über die Rösler nun verfügt. Er kann die Welt bereisen und dabei ihre einflussreichsten Menschen kennenlernen, er kann Strippen ziehen und exklusives Wissen anhäufen. Er muss dabei weder parteipolitischen Zwängen genügen noch den Wählerwillen berücksichtigen. Rösler ist beim Weltwirtschaftsforum zuständig für Regionalkonferenzen wie diese in Istanbul. Allein zur Konferenz für Afrika nächstes Jahr in Kapstadt werden 1000 Auserwählte erwartet. Jeder davon ist ein Leader, wie sie hier sagen, entweder Chef einer Regierung, eines Ministeriums, einer großen Firma oder einer Nichtregierungsorganisation.

Die sieben Minister, mit denen Rösler heute der Reihe nach spricht, kommen aus Kasachstan, Algerien, Tunesien, der Türkei und Portugal. Dazwischen zwei Gespräche mit Vorstandsvorsitzenden weltweit agierender Holdings. Rösler wird vor jedem Treffen von seinem Team gebrieft wie ein Außenminister. Aber es wird später nichts über die Ergebnisse der Unterhaltungen publik. Auch nicht hinterrücks. Alles ist anders als in Berlin. Er genießt das.
Rösler hat offensichtlich eine Aufgabe gefunden, die ihn glücklich macht und der er gerecht werden kann. Nur hätte man sie ihm nie anbieten können, wäre er nicht darin gescheitert, was er vorher war, ein Spitzenpolitiker in Deutschland, Vice Chancellor. Das ist die Fallhöhe. Erstaunlich, dass er sich ziert, den Zusammenhang zu erkennen.

Vielleicht liegt es daran, dass ihm lange alles zuflog. Er wurde jung Generalsekretär der FDP in Niedersachsen, bald ihr Fraktionschef im Landtag, mit 35 Wirtschaftsminister des Bundeslandes. Als Guido Westerwelle, FDP-Chef damals, ihn 2009 nach Berlin holte, damit er Bundesgesundheitsminister wird, wischte er seine Skrupel beiseite und kam. War das schon falsch? Andererseits, hätte er absagen können? Er fand, nein. Beides macht ihn nun aus: Rösler hat Deutschland mitregiert, eine der reichsten Volkswirtschaften der Welt. Bis Deutschland ihn gefeuert hat.
Als die FDP an der Fünf-Prozent-Hürde scheiterte, legte Rösler sofort den Parteivorsitz nieder. Anständig abtreten, fand er, war alles, was er machen konnte. Er erinnert sich, dass andere als Erstes fragten: Was wird aus mir? Und meinten: Wo bringt mich die Partei unter? „Ich habe das nie getan.“

Trotzdem lodert zu Hause der Hass auf ihn noch immer. Was für ihn lange her ist, ist denen, die versuchen, die Scherben zusammenzukehren, jeden Tag präsent: dass die FDP am Boden liegt. „Es ist wirklich schade, dass über diesen Mann überhaupt noch geschrieben wird“, entfährt es einem seiner früheren Parteigänger. „Ich sage nicht, dass er kein netter Kerl ist. Aber er hat alles kaputtgemacht, alles“, sagt einer aus der heutigen Führungsriege. „Der ist weg. Der bleibt weg. Und der kommt auch nie wieder“, verwünscht ihn der Nächste, aber nur anonym.

Fast alle Weggefährten verorten die Wende zum Schlechten hin im ersten Halbjahr 2011. Die Partei hatte bereits ein miserables Image. Sie stand nach der Mehrwertsteuersenkung für Hoteliers im Ruf, wieder nur Klientelpolitik zu betreiben, statt wie versprochen das Steuersystem einfach und gerecht zu machen oder die Krankheitsvorsorge billiger. In Rheinland-Pfalz wählte man die Liberalen im März 2011 aus dem Landtag. Sie wollten deshalb Guido Westerwelle als Parteivorsitzenden loswerden, ihren Außenminister und Vizekanzler im vollen Lauf entmachten. Es kam keiner außer Rösler als Nachfolger infrage.

Ein Fehler nach dem anderen

Selbst wenn er nicht gewollt hätte, das geben sogar jene zu, die ihn heute verwünschen: „Er musste kandidieren.“ Die Elite der Liberalen war übersichtlich und unerfahren. Ein Berater Röslers erzählt: „Dann rufen dich alle an und sagen: So geht es nicht weiter! Du musst das machen! Nur du kannst das! Und irgendwann glaubt man es selbst.“ Vielleicht griff erst hier das Peter-Prinzip: Rösler verhob sich, und das überforderte ihn fortan sogar in dem, was er vorher gut konnte.

Seine Witze misslangen. Sein Gespür für die rechten Worte und Taten zur rechten Zeit schien wie weggeblasen. Bis heute schlucken sie in der FDP-Führung an dem Wort „Anschlussverwendung“ wie an einer Kröte. Dauernd wird es seinem Nachfolger Christian Lindner vorgehalten. Es war Rösler vor laufenden Kameras über die Lippen gekommen, als er über das Schicksal der gefeuerten Schlecker-Verkäuferinnen sprach. Das Wort stammt vom Militär: Es beschreibt, was aus einem Berufssoldaten wird, wenn er die Armee verlässt.

Rösler, der Familienmensch aus Hannover, musste jetzt ein Spiel spielen, das er stets gefürchtet hatte. Er fand, eher mechanisch als beherzt, er könne unmöglich Parteichef und Vizekanzler werden, aber dabei Gesundheitsminister bleiben. Als Gesundheitsminister ohne Bundestagsmandat saß er wie auf einem Schleudersitz. Westerwelle das Auswärtige Amt streitig zu machen, was vielleicht konsequent gewesen wäre, wollte er nicht. Er mochte nicht – aus heutiger Sicht klingt das putzig – so viel auf Reisen sein. Dauernd fort zu sein, fand er, konnte er seinen Töchtern und seiner Frau nicht antun, die gerade ihre Facharztausbildung absolvierte. Darum beschloss Rösler in einem sehr kleinen Zirkel, Bundeswirtschaftsminister werden zu müssen.

So verdrängte er seinen Parteikollegen Rainer Brüderle von dessen Posten und übernahm mitten in der Legislatur das Wirtschaftsressort, dem ein starkes Eigenleben und eine gewisse Unregierbarkeit nachgesagt werden. Gleichzeitig zerstörte er damit Rainer Brüderles großen Lebenstraum, als erfolgreicher Bundeswirtschaftsminister in die Annalen einzugehen. Jeder in der FDP wusste das.

Stattdessen setzte Rösler den nun 65 Jahre alten Herrn an die strategisch wichtigste Position einer Regierungspartei: Er ließ ihn zum Fraktionsvorsitzenden wählen.
Brüderle traute ihm fortan nicht mehr über den Weg. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich neben Rösler zum „Spitzenkandidaten“ für die Bundestagswahl küren zu lassen. Ein Dreamteam. Für Kabarettisten. Es ist unnötig, alle Fehler aufzuzählen, die folgten. Es ist bekannt, was geschah.

Nach der Wahl, sagt ein Beobachter, „sind die alle auseinandergerannt. Die konnten sich auch einfach nicht mehr ertragen.“ Rösler ließ sich nur blicken, wenn er musste, und wirkte dabei wie verpuppt, der Blick stumpf.
„Er war einfach zu lieb“, unterstellt ihm jemand, der sich heute mit den Folgen für die FDP herumschlägt. „Das Schlimmste, was dir passieren kann in der Politik, ist Mitleid“, sagt ein Vertrauter. „Am Ende hatte aber sogar die Kanzlerin Mitleid.“ Einer spottet: „Wenn Seehofer über dich sagt, du seist ein netter Mann, müssen bei dir alle Alarmglocken schrillen.“

Während sich seine Weggefährten von früher abmühen, wieder in irgendeinen deutschen Landtag einzuziehen und womöglich 2017 in den Bundestag zu gelangen, plant Philipp Rösler seine nächste Reise. „Nicht so weit diesmal“, sagt er lässig. Nicht China heißt das, nur Arabische Emirate. Die Konferenz dort muss nicht er mit seinem Stab organisieren, das tun Kollegen. „Das heißt, ich kann den ganzen Tag zuhören“, sagt er, „lernen, Wissen aufsaugen. Das wird toll!“

Er reibt sich die Hände wie früher, wenn er sich auf dem Weg von Berlin nach Hannover auf einen Halt bei McDonald’s gefreut hatte. Er verabschiedet sich plaudernd. Sein „Staff“ erwartet ihn in der Bar im 34. Stock. Die Kollegen wollen mit ihm anstoßen.

Erscheinungsdatum
01.11.2014
Verlag
Brand Eins


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